Fachgruppe Radioastronomie
Rotation der Milchstraße und Dopplerverschiebung der 21-cm-Strahlung
Thomas Lauterbach Dez. 2023
Die Milchstraße ist eine Balkenspiralgalaxie. Abb. 1 zeigt eine künstlerische Darstellung von außerhalb der Scheibe, man erkennt in der Mitte den hellen Balken um das galaktische Zentrum und die davon ausgehenden Spiralarme. Eingezeichnet ist auch die Position der Sonne, etwa 26.000 Lichtjahre (Lj) vom Zentrum entfernt. Die Milchstraße rotiert im Uhrzeigersinn, ein Umlauf der Sonne um das Zentrum dauert etwa 220 Millionen Jahre.
Abb. 1: Künstlerische Darstellung der Milchstraße (Quelle: NASA/JPL-Caltech/R. Hurt (SSC/Caltech))
Die Richtung von Objekten in der Milchstraße wird durch die Galaktischen Koordinaten angegeben. Die Galaktische Länge ist der Winkel zwischen dem Milchstraßenzentrum und einem Objekt im Gegenuhrzeigersinn, vom Ort der Sonne (Erde) aus gemessen. Entsprechende Werte sind am Rand des Bildes angegeben.
Die Rotation der Milchstraße führt dazu, dass die unterschiedlichen Spiralarme nicht starr sind, sondern die näher am Zentrum befindlichen Regionen die weiter außen befindlichen mit der Zeit überholen, ähnlich wie z.B. die Läufer auf der Innenbahn bei einem 400-m-Lauf in der Kurve die weiter außen Laufenden überholen. Alle Objekte bewegen sich aber mit etwa der gleichen Bahngeschwindigkeit von etwa 250 km/s.
Die Animation zeigt dies (im linken Bild) beispielhaft für eine Region, von der die Strahlung ausgeht (rot) und einem Beobachter (blau). Beide bewegen sich mit 250 km/s auf einer Kreisbahn um das Milchstraßenzentrum (schwarzes Kreuz). Die Radialgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeitskomponente der roten Region längs der Verbindungslinie zum Beobachter. Diese wird in der Astronomie positiv gezählt, wenn sich die Objekte voneinander entfernen. Man erkennt gut, dass die Radialgeschwindigkeit maximal ist (ca. 95 km/s), wenn die beiden Objekte in einem Winkel von 90° zueinander stehen. Wenn sie gleich auf sind oder sich gegenüber stehen, ist die Radialgeschwindigkeit 0. Beim überholvorgang wechselt das Vorzeichen der Radialgeschwindigkeit, da die Region, der sich der Beobachter zunächst genähert hatte, nun hinter ihm zurückbleibt und die Entfernung sich vergrößert.
Video 1: Animation Doppler-Formel
Die aus der Bewegung der beiden Objekte resultierende Radialgeschwindigkeit führt zu einer Dopplerverschiebung der 21-cm-Strahlung, die immer mit der Frequenz 1420,405 MHz emittiert wird (rot). Bei positiver Radialgeschwindigkeit entfernen sich die Regionen voneinander und die Strahlung wird bei einer niedrigeren Frequenz beobachtet - und umgekehrt (blau). Dies können Sie parallel zur Bewegung der Strahlungsregion und des Beobachters verfolgen, wenn Sie die Animation ablaufen lassen.
In der Realität ist die Veränderung der Dopplerverschiebung während des Umlaufs der verschiedenen Objekte um das Milchstraßenzentrum nicht zu beobachten, da die Umläufe mehrere hundert Millionen Jahre dauern und sich deshalb während der menschlichen Beobachtungsspanne die Verhältnisse praktisch nicht ändern.
Wenn man aber verschiedene Regionen beobachtet, die verschiedene Galaktische Längen haben, kann man die unterschiedliche Dopplerverschiebung gleichzeitig beobachten. Dies zeigt die zweite Animation, die die zu erwartende Dopplerverschiebung für verschiedene Strahlungsregionen mit unterschiedlicher galaktischer Länge, aber gleichem Abstand zum Milchstraßenzentrum zeigt.
Video 2: Animation Milchstraße
Bei der Umrechnung von der Frequenz auf die Radialgeschwindigkeit ist auch die Bewegung der Erde um die Sonne und die Bewegung der Sonne relativ zu den umgebenden Sternen zu beachten. Deshalb wird die Radialgeschwindigkeit bezüglich des „Local System of Rest” LSR angegeben.
Abb. 2 zeigt die Richtungen zweier Messungen in Richtung Gal. Länge 140° und 220°, also relativ zur Bewegung von Sonne und Erde um das galaktische Zentrum „schräg nach vorne” bzw. „schräg nach hinten”. Abb. 3 zeigt die zugehörigen Messergebnisse. Man erkennt deutlich die unterschiedlichen Radialgeschwindigkeiten: Auf die Gebiete in Richtung 140° bewegt sich die Sonne zu, von den Gebieten in Richtung 220° weg. Die Strahlung kommt dabei jeweils aus dem Perseus-Arm bzw. dem Outer Arm, wie man an der ähnlichen Form der beiden Spektren erkennt.
Abb. 2: Richtungen der Messungen zur Demonstration der Rotation der Milchstraße mit Hilfe des Dopplereffekts. Die Objekte rotieren alle im Uhrzeigersinn
Abb. 3: Spektren der 21-cm-Strahlung aus den beiden in Abb. 2 gezeigten Richtungen. Man erkennt mehrere Doppler-verschobene Anteile der jeweils aus dem Perseus-Arm und aus dem Outer arm (größere Radialgeschwindigkeit) kommenden Strahlung, siehe dazu „Woher kommt die Strahlung?”
Wenn man die Ebene der Milchstraße abscannt, d.h. viele Messungen ausgehend vom Milchstraßenzentrum bis zu einer galaktischen Länge von ca. 230° macht (der Rest ist von unserem Standort auf der Nordhalbkugel nicht zu sehen), sieht man die Entwicklung der Verschiebung längs der Messungen. Allerdings ist zu beachten, dass für gal. Längen kleiner als 90° auch Regionen erfasst werden, die näher am Milchstraßenzentrum sind als die Sonne und die Erde. Deshalb ist in dem Bereich die Verschiebung nicht eindeutig.
Aus den vielen Messungen wurde ein Video erzeugt. Auf der unteren Achse ist die Frequenz aufgetragen, auf der oberen die aus der Dopplerverschiebung berechnete Radialgeschwindigkeit.
Woher kommt die Strahlung?
Eine oft gestellte Frage ist: wie groß ist die Reichweite des Radioteleskops, aus welchen Bereichen der Milchstraße kommt die Strahlung?
Aus Abb. 3 können wir die Radialgeschwindigkeiten der Regionen ablesen, aus denen die Strahlung kommt: –10 km/s, –35 km/s und –73 km/s aus Richtung 140° und +30 km/s und +57 km/s aus Richtung 220°. Da die Richtung, aus der die Signale kommen, bekannt ist, kann man mit Hilfe einer Formel für die Radialgeschwindigkeit (siehe Lauterbach, springer essentials Radioastronomie, S. 46) bei konstanter Rotationsgeschwindigkeit (hier zu 250 km/s angenommen) und bekanntem Abstand der Sonne vom galaktischen Zentrum (26.000 Lichtjahre) die Entfernung der jeweiligen Quelle vom galaktischen Zentrum berechnen. Es ergeben sich die Werte 27.700 Lj, 33.200 Lj und 47.600 Lj bei den Messungen in Richtung 140° und 32.000 Lj bzw. 40.300 Lj bei den Messungen in Richtung 220°. Trägt man diese Abstände in das Milchstraßenbild ein, so dass die entsprechenden Linien auf dem Pfeil der Messrichtung enden, ergeben die Schnittpunkte die Bereiche, aus denen die Strahlung kommt (Abb. 4). Die „Reichweite” des Radioteleskops beträgt also bis zu ca. 30.000 Lj.
Der wenig verschobene Anteil der Strahlung in Richtung 140° kommt aus dem Orion-Arm, der unmittelbaren Umgebung der Sonne.
Abb. 4: Das Milchstraßenbild erweitert um die Abstände der Emissionsregionen vom galaktischen Zentrum. Man erkennt, dass die Strahlung aus dem Perseus-Arm bzw. dem Outer Arm stammt.